Zu Aussagen einer Uni-Professorin
Während einer Vorlesung beschwert sich eine Studentin über die Arbeitsbelastung. Neben der Vielzahl von Abschlußklausuren (sieben), die sie als Bachelor-Studentin in den letzten zwei Wochen des Semesters zu bewältigen habe, müsse sie auch ein sehr umfangreiches Skript zur Vorlesung von mehreren Hundert Seiten lesen und sich darüber hinaus noch eigenständig durch eine lange Literaturliste als Vorbereitung für die Klausur kämpfen. Das Arbeitspensum für diese Vorlesung sei überzogen.
Die Dozentin zeigt sich zunächst kompromißbereit und sagt zu, die Literaturliste etwas zu kürzen, so daß als Vorbereitung für die Klausur nun etwas weniger als geplant gelesen werden müsse. Als andere Studierende nicht nachgeben wollen, da ihnen auch dies noch als deutlich zu umfangreich erscheint, greift die Professorin zu einem Holzhammer-Argument, um die Diskussion zu beenden. Möglicherweise auch, um zu verhindern, daß der Bachelor-Studiengang grundsätzlich in Frage gestellt wird:
Sie dürfen aber nicht vergessen: Es gibt andere
Studenten, die das nicht in Frage stellen würden.
Mit denen konkurrieren Sie nun mal.1
Christine Landfried
Professorin der Politikwissenschaft
An dieser Stelle wird wieder einmal der Bildungswettbewerb beschworen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, diesen Wettbewerb zu verstehen. Als einen von Studierenden innerhalb der Universität, auf nationalstaatlicher oder auf internationaler Ebene.
Da die Hochschulzulassung in der BRD in der Regel über die Abitur-Durchschnittsnote erfolgt, kann ein nationaler Wettbewerb nicht gemeint sein, zumal dieser vor Beginn des Studiums stattfindet und für bereits eingeschriebene Studierende keine Bedeutung mehr hat. Auch ein inneruniversitärer Wettbewerb scheint unplausibel, da Studierende der Politikwissenschaft nicht mit Studierenden anderer Fächer um Seminarplätze und nur sehr begrenzt später um Arbeitsplätze konkurrieren. Es befinden sich zudem auch keine Studierenden vor der Tür des Seminarraums, die bereitstehen, den Platz der „Arbeitsverweigerer“ einzunehmen. Andererseits könnte die Professorin meinen, die Bachelor-Studierenden konkurrierten untereinander um künstlich verknappte Masterplätze und müßten sich daher sputen. Da sie von „anderen“ Studierenden spricht, ist aber davon auszugehen, daß sie Studierende meint, die sich außerhalb des Hörsaals befinden. Die naheliegendste Interpretation ist wohl, daß der globale Wettbewerb gemeint ist. In diesem Fall in Bezug auf einen internationalen Arbeitsmarkt. Konkret lautet die Annahme in diesem Sinne, die Studierenden und späteren Arbeitnehmer konkurrierten weltweit um begrenzte Arbeitsplätze mit anderen Menschen und seien daher nicht in der Position, Forderungen nach einer geringeren Arbeitsbelastung zu artikulieren.
So gängig Aussagen über einen globalisierten Arbeitsmarkt sind, so unplausibel erscheinen sie in vielen Fällen. Zunächst ignoriert die Professorin mit dieser Annahme die emotionale und organisatorische Bindung der meisten Menschen an ihre angestammte Umgebung oder Wahlheimat. Auch die sozialen Bindungen und die in der Regel vorhandene Neigung für eine bestimmte Kultur binden Menschen an fest abgegrenzte geographische Räume. Die meisten Menschen versuchen, dauerhaft in der Nähe ihrer gewohnten Umgebung zu leben und zu arbeiten. Nur vergleichsweise wenige bewerben sich über die Region hinaus oder gar international für Arbeitsplätze. Das gilt in den meisten Fällen sogar dann, wenn es Menschen in ihrer Heimat materiell schlechter geht als anderswo. Eine „Arbeitsmarktkonkurrenz“ durch Wanderungsbewegungen und Migration entsteht so also nur in begrenztem Umfang. Nur in wenigen Arbeitsbereichen trifft das Argument – so etwa bei Industriearbeitern in der Massenproduktion oder in begrenztem Umfang in der naturwissenschaftlichen Forschung. Bei Politikwissenschaftlern gibt es einen solchen Wettbewerb mit Sicherheit aber nicht. Wie viele andere Jobs muß auch politikwissenschaftliche Arbeit in der Regel vor Ort erledigt werden, da räumliche Nähe zu bestimmten Institutionen, sozio-kulturellem Geschehen oder Absatzmärkten von großer Bedeutung ist. Hat sich eine italienische Politikwissenschaftlerin etwa auf die vergleichende Regierungslehre mit einem Schwerpunkt auf dem italienischen Parteiensystem spezialisiert, ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß sie bei der Jobsuche ernstzunehmende Konkurrenz von vietnamesischen Politikwissenschaftlern bekommt.
Auch auf einer anderen Ebene liegt die Professorin mit ihrer Haltung falsch. Studierende, die langsamer und dafür selbstbestimmt lernen, verstehen mehr Zusammenhänge und lernen eher, zu hinterfragen. Sie werden später in allen Bereichen fähiger sein als „Turbostudenten“, die weder nach rechts noch nach links blicken konnten und deren höchstes Ziel die Anpassung ist. Entschleunigung kann hier also eher als großer Vor- denn als Nachteil gewertet werden.
Aus neoliberaler Perspektive sind frei und kritisch denkende Menschen jedoch vermutlich gar nicht anstrebenswertes Ziel. Vielmehr die Hervorbringung von Leisungsmenschen, die später willige, fachkundige Untertanen sind, die sich mit schlechten Arbeitsbedingungen und Gehältern abspeisen lassen, die bereit sind, unnütze und schädliche Produkte zu produzieren und rücksichtslosen Einsatz für das Gewinnstreben des Unternehmens zeigen. Lehrende, in diesem Fall die Professorin hätten eigentlich die Aufgabe, Studenten die Zusammenhänge des Ba-Master-Studiengangs, der Arbeitsbelastung und der dahinterstehenden Intention bewußt zu machen. In diesem Fall ist die Professorin aber auch nur ein unkritischer Teil des neoliberalen Systems und läßt sich zur Exekutive für die Durchsetzung neoliberaler Bildungspolitik machen. Man könnte zwar argumentieren, die Professorin sei ebenso wie ihre Studierenden in das System aus ökonomischen Zwängen verstrickt, dem würde aber widersprechen, daß sie als Beamtin auf Lebenszeit nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten muß. Da sie selbst mit in den Gremien sitzt, die für die Umsetzung neoliberaler Bildungspolitiken verantwortlich sind, ist sie für das System sogar mitverantwortlich.
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1 Zitat: mitgeschrieben in der Vorlesung „Das politische System der USA“ im Sommersemster 2009 an der Universität Hamburg (Veranstaltungs-Nr. 22-121.20).