Über die "Outgesourcten"
Bericht aus einem Callcenter

Arbeitsbedingungen, Bezahlung, Mitarbeiterüberwachung

 

Unsere Dienstleistungsgesellschaft bringt eine Vielzahl von Arbeitsplätzen für die Beratung von Kunden hervor. Viele von diesen Jobs befinden sich nicht in den Unternehmen selber, sondern sind aus Kostengründen in Callcenter ausgelagert. Das Ganze nennt sich Outsourcing und betrifft nicht nur verhältnismäßig einfache Aufgaben wie die Pflege von Kundendaten, Inkassotätigkeiten, die Verwaltung von Verträgen oder die Neukundenakquise für Konsumprodukte. Auch komplexere Aufgaben – wie etwa die Bearbeitung von Betrugsfällen bei Online-Händlern oder die Buchhaltung wird von vielen Unternehmen ausgelagert. 

Es sei hier ein Fall beschrieben, in dem ein großes Online-Auktionshaus die Kundenberatung und die Bearbeitung von Betrugsfällen an ein Callcenterunternehmen ausgelagert hat. Vermutlich gehört dieses Callcenter eher zu denjenigen mit besseren und vergleichbar lockeren Arbeitsbedingungen – nichtsdestotrotz sei beschrieben, mit welchen Verhaltensgrundsätzen Mitarbeiter in einem solchen exemplarischen Callcenter konfrontiert werden und wie Arbeitsbedingungen und Bezahlung ausgestaltet sind.

 

Arbeitsbedingungen

  • Als Arbeitnehmer, der zuvor bei anderen Unternehmen als regulärer Mitarbeiter eingestellt war, fällt mir als erstes die äußerst geringe Zahl von nur 20 Tagen Jahresurlaub (bei einer Vollzeitstelle) auf. Diese Urlaubstagezahl dürfte am unteren Ende des rechtlichen Rahmens liegen. Immerhin findet sich im Vertrag keine (illegale) Klausel wie in manch anderem Unternehmen, daß für angebrochene Arbeitsmonate bei Arbeitsantritt kein Urlaub gewährt werde.

  • Die Bezahlung ist gering. Man zahlt 8 Euro pro Stunde – und das zwei Monate vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro. Im Vertrag ist von der gesetzlich vorgeschriebenen Lohnerhöhung ab Januar des Folgejahres noch kein Wort zu finden. Vielleicht hofft man darauf, daß die Dumpinglohn-Lobby den Mindestlohn noch kippen wird (oder in Hinterzimmern in letzter Minute noch eine Ausnahme für die Callcenter herausgehandelt wird).

  • Zum Basislohn wird angeblich ein Bonus von stündlich bis zu 50 Cent bezahlt, allerdings geht aus dem Vertrag nicht hervor, nach welchen Maßstäben der Bonus anfällt oder nicht. Der Arbeitgeber hat damit also einen gewissen – wenngleich eher kleinen – Spielraum, Mitarbeiter unter Druck zu setzen.

    Ohne Bonus bekommt man also unterm Strich einen Bruttolohn von knapp 1.300 Euro. Netto sind das bei Steuerklasse 1 etwa 950 Euro. Das reicht knapp zum Überleben, für mehr nicht.

  • Besonders Perfide sind zwei Punkte in der Mitarbeitervereinbarung, die einem neben dem Vertrag zur Unterschrift vorgelegt werden. Die beiden Punkte sind als freiwillig zu unterschreiben markiert und lauten sinngemäß:

    1. Der Mitarbeiter willigt darin ein, daß Telefongespräche ohne sein Wissen durch einen Vorgesetzten zu beliebigen Zeiten abgehört werden dürfen.

    2. Der Mitarbeiter willigt darin ein, daß sich ein Vorgesetzter jederzeit zur Qualitätskontrolle und Kontrolle der Leistungsfähigkeit ohne das Wissen des Arbeitnehmers auf dessen Computerbildschirm schalten darf.

    Mit der Unterschrift unter diese beiden Paragraphen würde der Mitarbeiter darin einwilligen, freiwillig auf seinen gesetzlich garantierten Schutz vor illegitimer Mitarbeiterüberwachung durch den Arbeitgeber verzichten. Es erscheint doch sehr fraglich, wie legal diese Punkte sind1 – ganz zu schweigen von der moralischen Frage.
    Ich frage, ob ich gefeuert werde, wenn ich diese freiwilligen Paragraphen nicht unterschreibe. Die Frau der Personalabteilung („Human Resources“) teilt mir mit, daß dies kein Problem sei, es sei ja eine freiwillige Angabe. Allerdings deutet sie an, daß diese Paragraphen für die Berechnung des Lohn-Bonus eine Rolle spielen könnten. Ich verstehe sie so, daß sie damit sagt, man bekomme den Bonus von 50 Cent Pro Stunde nicht, wenn man nicht unterschriebe.

  • Arbeit an Wochenenden: Es wird von einem verlangt, daß man auch an Wochenenden arbeitet. Hauptsache die Kunden fühlen sich wohl, wenn sie auch am Sonntagabend ihre Vertragsdinge klären können (es scheint in der Servicegesellschaft als Problem wahrgenommen zu werden, wenn man an einem oder an zwei von sieben Tagen nicht seinen Geschäftstätigkeiten nachgehen kann).

  • Das Callcenter legt im Arbeitsvertrag fest, man müsse „mindestens 10 Minuten vor Arbeitsbeginn“ erscheinen. In diesem Zeitraum müßten dann Begrüßungen von KollegInnen, das Anschalten des Computers und das eventuell stattfindende Kaffeekochen liegen. Diese Zeiten werden explizit also nicht als Arbeitszeit definiert, obwohl sie naturgemäß zu jedem Job gehören.

  • Zudem fordert man in den Verhaltensleitsätzen für die Arbeitnehmer, man habe das Ziel zu übernehmen, die „Erwartungen der Auftraggeber“ zu übertreffen. Schließlich sei man ein wachsendes Unternehmen und das Wachstum solle so sichergestellt werden. Das Wachstum des Unternehmens gehe einher mit dem „individuellen Weiterkommen“ und der Steigerung individueller Potentiale.

 

US-Amerikanisierung

An der Tür der Callcenter-Abteilung für das große Online-Auktionshaus hängt ein Plakat. Es ist sicherlich aus den USA direkt nach Deutschland gekommen um die Unternehmensideologie auch den Mitarbeitern der Tochtergesellschaften einzuflößen.

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DER BESTE SEIN – Professionell, genau, zuverlässig, zeitnah, mitfühlend.

 

Das Plakat soll vermutlich für mehr Arbeitsdisziplin sorgen. Typisch für US-amerikanische Unternehmen werden Leitsätze formuliert, die für die Mitarbeiter als emotional-weltanschauliche Fixsterne dienen sollen. Der Umstand, daß derlei Leitsätze für die meisten deutschen Leser befremdlich wirken, zeigt, wie derlei Unternehmen mit einer Art Kulturimperialismus vorgehen und ignorieren, daß Leitsätze, die befremdlich klingen, ihre Wirkung verfehlen werden und dazu führen dürften, daß die Mitarbeiter das Unternehmen belächeln. Es ist daher unwahrscheinlich, daß die Leitsätze einen relevanten positiven Effekt auf die Arbeitsmoral haben.
Grundsätzlich unklar bleibt, weshalb ein schlecht bezahlter Mitarbeiter in einem Callcenter ein Anliegen daran haben sollte, der „Beste“ zu sein; wird sein Arbeitseinsatz doch offensichtlich finanziell nicht entsprechend gewürdigt. Wie die weiteren Leitsätze2 zeigen, soll der Ehrgeiz erhöht werden, in der Hierarchie aufzusteigen:

 

Sei der Kunde.
Vereinfache. Kläre.
Erörtere, entscheide und liefere.
Sei offen, ehrlich und direkt.
Tue das Richtige.

Unser gemeinsames Engagement
Schaffe Erlebnisse für die Liebe unserer Kundenberatung
Arbeite an Innovationen und lebe die Konkurrenz
Erfülle Deine Aufgaben stets gut
Fördere talentierte Menschen

Treibe den Erfolg voran
NPS, eNPS und EPS. [NPS = Weiterempfehlungsindex, eNPS=Mitarbeiter-Weiterempfehlungsindex, EPS=Earnings per Share

 

Diese Sätze klingen klingen verdächtig nach Sekte oder Ersatzreligion. Da ist sogar von der „Liebe“ zu den Kunden die Rede. Typisch für US-amerikanisches Pathos, klingt dies für die Ohren in Mitteleuropa sozialisierter Menschen zumindest seltsam. Ansonsten sind da typische Sätze von protestantischer Arbeitsethik. Klar will das Unternehmen mehr Geld mit motivierten Mitarbeitern machen.
„Lebe die Konkurrenz“ ist ein Hinweis auf die Ellenbogenmentalität, die vorgegeben wird. Ein friedliches, freundliches Miteinander am Arbeitsplatz ist also anscheinend nicht gewollt. Es geht um Aufstieg in der Hierarchie („Fördere talentierte Menschen“). Letztendlich geht es aber vor allem um die Erfüllung von Kennzahlen wie die technokratischen Bezeichnungen NPS, eNPS und EPS zeigen.

Noch Pathetischer wird es in dieser Selbstbeschreibung des US-Unternehmens:

 

„Durch Handel erzeugen wir Werte, die uns im Sinne eines besseren Lebens unterstützen. Auch formt der Handel zwischenmenschliche Bindungen.“

„Verknüpfter Handel“
würde einen Wettbewerb erzeugen, der weniger die Polarisierung fördere. Stattdessen bedürfe es Aller, um in einem solchen Wettbewerbssystem gewinnen zu können.

 

Die Leitsätze zeigen, wie der schnöde Unternehmenszweck zu einer Mission für die Menschheit umgedeutet wird.
Außerdem soll auf einmal gar nicht mehr der Ellenbogen („Lebe die Konkurrenz“, „Being the best“) wie oben gesagt angewendet werden, sondern es gehe um „zwischenmenschliche Bindungen“ und „weniger die Polarisierung“.
Kuschelige Sozialromantik oder kalter Ellenbogen-Wettbewerb. Man kann sich anscheinend nicht so Recht entscheiden. Ein Wenig klingt es so, als ob die sozialen Anteile im Leitbild der Beruhigung für das Gewissen und dem guten Image dienen und die Wettbewerbs-Anteile der eigentlichen Ideologie entsprechen.

 

Zum Schluß...

Das beschriebene Callcenter gehört sicherlich nicht zu denjenigen mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen. Dennoch wird besonders an dieser Branche klar, wie in einem neoliberalen Wirtschaftssystem Arbeit gedacht wird, wie von einfachen Mitarbeitern bei schlechter Bezahlung das Höchste abverlangt wird. Außerdem erwartet man von den Mitarbeitern eine große Identifikation mit dem Unternehmen und erwartet eine Leistungshaltung („Being the Best“), die, wie gesagt, weder mit der Bezahlung, noch mit den Arbeitsbedingungen gerechtfertigt werden kann.

Zu erwähnen sind auch Überwachung am Arbeitsplatz, Wochenendarbeit, die kläglichen 20 Tage Jahresurlaub und eine Bezahlung, die nur knapp oberhalb des Existenzminimus liegt (ganz zu schweigen von Menschen, die Familien haben: die können bei dem Gehalt ohne staatliche Zuschüsse wohl nicht überleben).
Unterm Strich zeigt sich an diesem Beispiel, daß unser Wirtschaftssystem nicht so gut ist, wie es von unseren Regierungen und Spitzenpolitikern stets dargestellt wird. Es ist nämlich schön und gut in Lohn und Brot zu sein. Wer aber möchte sein ganzes Arbeitsleben den Dienst unter so kläglichen Bedingungen ableisten?


 

1 Datenschutz am Arbeitsplatz siehe auch hier.

2 Die Regeln des Online-Auktionshauses unter anderem aus dieser (Stand: 10/2014) – und aus anderen Quellen: Our Shared Behaviors | Be the customer. | Simplify. Clarify.  | Debate, decide and deliver. | Be open, honest and direct. | Do the right thing. [...] Our Shared Commitments | Create experiences our customers love. | lnnovate constantly, compete fiercely. | Execute well, every day. | Enable talented people to thrive. | […]  | Drive success: NPS, eNPS and EPS.  | Through commerce, we create value that helps each of us pursue a better Iife and forge human connections […]  | Connected commerce [...] creating competition that's less "winner takes all" and more ”takes all to win." [...]


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Gast - M.Backhaus

Ich habe 2014 selbst bei einem Call Center gearbeitet und kann die Beschreibung in dem Artikel bestätigen. Genauso sieht es aus. Als ich gegenüber der Chefin des Call Center geäussert hatte, dass ich nach Abschluss meiner Probezeit einen Betriebsrat gründen werde. hat sich mich fristlos gekündigt. Ich war froh, dass ich da raus war, zumal mein Arbeitslosengeld höher ist, als der Verdienst in einem Callcenter.