Campus & Karriere / DLF 01.10.2010 / von Detlef Proges
Unichefin für einen Tag
18-Jährige durfte die Westfälische Wilhelms-Universität Münster leiten


Es geht darum wichtige Erfahrungen zu sammeln und das gleich als Boss eines großen Unternehmens. Das will die Aktion "Chef für einen Tag" des Magazins "Focus Money" erreichen. Rund 200 Schulklassen hatten sich beworben, um den Chefsessel in Unternehmen wie Edeka, Signal Iduna und Gardena zu besetzen. Acht Schüler wurden in einem Casting ausgewählt.
Darunter auch Anna Haarmann, Oberstufenschülerin am Mariengymnasium in Münster. Passend dazu suchte die Universität Münster als einzige Hochschule neben den Unternehmen eine neue Leitung für einen Tag. Den dortigen Posten der Unirektorin übernahm die 18-jährige gestern.
Fotografen, Kameraleute und Radioreporter umlagern die Jung-Rektorin Anna Haarmann. Bei einer kleinen Feierstunde übergibt die 18-Jährige den Prorektoren der Universität ihre Ernennungsurkunden. Ein offizieller Akt mit Presse, Professoren und Prosecco - und mit etwas Nervosität.

Anna Haarmann:"Frau Universitätsprofessorin Dr. Cornelia Denz sie werden hiermit gemäß §18 Absatz 3 des Hochschulgesetzes NRW zur Prorektorin für Internationales und Wissenschaftliches und (stockt) stopp, für Internationales und Wissenschaftliches der Westfälischen Wilhelms-Universtät Münster ernannt. Auch Ihnen herzlichen Glückwunsch und eine gute Zusammenarbeit.

 

Chef für einen Tag - klingt lustig. Hier stellen Wirtschaftslobbies mit Erfolg Trojanische Pferde, getarnt als "coole Aktionen", in die Schulen. Letztendlich geht es darum, bei den Kindern ein "Gefühl für die Wirtschaft" und für die in ihr vorherrschenden hierarchischen Strukturen zu erwecken. Die Kinder sollen kurz erleben, wie schön es ist, in einer echten Machtposition zu sein: ganz an der Spitze der Hierarchiepyramide. Natürlich wird nicht ausgelost, welche Schulklassen mal ran dürfen, sondern es findet schon einmal vorab ein Selektionswettbewerb ("Casting") statt. Das kennen die Kleinen ja schon aus dem Gehirnwäscheprogramm im TV.
In guter Gesellschaft mit Signal Iduna und Edeka befindet sich die Uni Münster, die sich offenbar ebenso als Unternehmen versteht. Auch sie möchte ihre hierarchische "Unternehmensstruktur" bewerben. Frei nach dem Motto "es muß nicht demokratisch ablaufen, Entscheidungen sollen nur von der "Leitung" getroffen werden, aber als Ausgleich darf das "Volk" für einen Tag Chef spielen (aber natürlich keine Studierenden, die könnten nämlich die Gelegenheit nutzen, um tatsächlich etwas sinnvolles zu tun. Stattdessen setzt man ein unerfahrenes und unkritisches Kind in den Chefsessel).

 

Prorektorin: "Danke schön. Ich freu mich auch auf die Zusammenarbeit." Eine Zusammenarbeit, die nur einen Tag lang dauert. Aber der hat es in sich. Früh morgens steht bereits der Dienstwagen der Universitätsrektorin vor der Haustür.
Kaum an der Uni angekommen folgen ab acht Uhr Besprechungen und die wöchentliche Rektoratssitzung. Die Oberstufenschülerin Anna muss alleine die Konferenz leiten wie sonst die richtige Rektorin. Dafür bekommt sie einiges Lob der Professoren.
Prorektorin:  "Das war wirklich sehr professionell. Und hat die Tagesordnung festgestellt, erstmal erläutert, was abgesetzt wurde, welche Punkte neu kommen. Man wird ja nicht einfach so Rektorin, man muss ja schon Qualitäten mitbringen (Lachen) Sitzungsleitung gehört dazu. Ja."
Smalltalk und Sektlaune werden dann plötzlich unterbrochen durch einen kleinen, von der Unileitung inszenierten Zwischenfall.
"Wir wollten der neuen Rektorin unsere Aufwartung machen und direkt mit zwei Problemen konfrontieren, die uns hier im Moment in Münster beschäftigen."
Vier Studenten, Vertreter des AStA platzen unangemeldet in die Feierstunde im Büro der Rektorin. Die 18-Jährige ist überrumpelt, meistert die Herausforderung aber äußerlich souverän. Mithilfe der persönlichen Referentin der Unirektorin.
"Ich dürfte Sie noch einmal kurz rausbitten, wir sind hier gerade in einem ganz anderen Termin."
Die Chefin für einen Tag stellt sich aber der Situation. Die Studentenvertreter fordern die Unileitung auf, etwas für wohnungssuchende Erstsemester zu tun. Und Nachwuchsrektorin Anna Haarmann antwortet diplomatisch: "Ich denke, dass die Uni sicher bereit ist, sich mit der Stadt und dem Studentenwerk auseinanderzusetzen und das möglichst zeitnah zu regeln, sodass die Erstsemesterstudenten dieses Jahr bei der Wohnungssuche unterstützt werden."

 

Elitär geht es los im Dienstwagen. Noch fährt die Schülerin Fahrrad, aber wenn man einmal oben angekommen ist... Soll der Dienstwagen ein Köder für Aufstiegsbestrebung darstellen?
Und dann darf die Jugendliche ehrwürdige Chefin spielen. Schon kommt der ultimative Test: Studentenproteste! Aber natürlich lassen sich die braven ProtestlerInnen mit der einfachen wie genialen Bemerkung "Ich dürfte sie noch einmal kurz raus bitten" abspeisen. Zudem erscheint ihre Forderung nach einer "Hilfe bei der Wohnungssuche für ErstsemestlerInnen" konstruiert und völlig unrealistisch. Wenn an der Uni protestiert wird geht es eher um wichtige Dinge, die direkt mit der Uni zusammenhängen: Studiengebühren, Verschulung, reine Arbeitsmarktorientierung, Exzellenzwahn u.s.w.

 

Im Laufe des Nachmittags muss die Gymnasiastin aus Münster noch einen Professor ernennen und Interviews geben. Insgesamt etwa ein Dutzend tatsächliche, nicht gespielte Termine. Abends dann, nach etwa zehn Stunden Dienst beginnt der letzte, von etwa einem Dutzend Terminen. Anna Haarmann präsentiert ausländischen Studierenden die Universität Münster - auf Englisch:
"Usually the Wilhelms University is among the five biggest Universities. Right now, we are the forth-largest university in Germany. Right now we have about 37.000 Students and over 50 percent of them are women." 

 

An dieser Stelle kommt das Excellenzbestreben zum Ausdruck, die Hochschule international bedeutender zu machen und ihr Renomee zu steigern. Neoliberale Hochschulen und BildungspolitikerInnen werden schließlich nie müde zu fordern, die "Internationalität" müsse erhöht werden, um im "globalen Wettbewerb" und im Kampf um die "besten Köpfe" gut positioniert zu sein.
Daher wird hier den "ausländischen Studierenden" die Uni im Rahmen einer Selbstmarketing-Aktion präsentiert.

Circa elf Stunden Tagesarbeitszeit (10 Stunden plus Marketingtermin) werden hier als normales, tägliches Arbeitspensum für "Führungskräfte" dargestellt. Es mag sein, daß viel Menschen in Chefetagen oder am oberen Ende von Organisationshierarchien so viel arbeiten, nichtsdestotrotz ist dies nicht notwendig, denn Aufgaben können auch auf viele Menschen verteilt werden. In einer weniger hierarchischen Organisation muß auch nicht immer die "Führerin" Termine wahrnehmen, sondern die Aufgaben können viel besser auf viele Schultern verteilt werden.
Die hier angedeutete Selbstausbeutung einer Arbeitszeit zwischen 50 und 60 Stunden muß nicht sein. Sie wird aber im Zeitalter des Neoliberalismus als normal und legitim dargestellt.

 

Im Publikum sitzen allerdings fast nur ihre Familie, Mitschülerinnen und Lehrer. Eine kleine Überraschungsabschlussfeier. Die eigentliche Rektorin der Uni Münster, Professorin Ursula Nelles, feiert mit und findet, dass die Schülerin im Chefinnensessel einiges gelernt hat: "Wenn sie es nicht schon wäre, wäre sie heute Abend stressresistent, schnelles Umschalten und ständig unter Beobachtung zu sein, das ist schon anstrengend."
"Wie ich erwartet habe, tapfer. Ein paar Monate und dann hat sie den Stoff voll drauf."
Anna will nach dem Abi im nächsten Jahr erst einmal BWL studieren. Der Tag als Schülerin im Chefinnensessel war eine gute Erfahrung, sagt sie. Auch wenn es manchmal stressig war:
"Wo ich zwischendurch ins Straucheln gekommen bin, war, als nach der Feierstunde für die Prorektoren plötzlich die Asta reinkamen, fühlte ich mich in dem Moment ein wenig überfordert, weil ich mit den Themen wenig vertraut war; aber ansonsten an Aufhören war nicht zu denken."

 

Ja, der Tag hat sich gelohnt für unsere kleine BWLerin in Spe. Vor allem macht sich das als Softskill-Bonus so schön im Lebenslaufportfolio! Klingt doch interessant die Kandidatin! Laden wir zum Vorstellugnsgespräch ein!

Die ganze schleimige Marketingaktion der Universität Münster war dann wohl ein Erfolg für alle neoliberalen Hierarchiefans. Vom Autor Herr Proges hätte man vielleicht etwas mehr kritische Distanz erwarten können, aber bei Campus & Karriere wird ja eher selten reflektiert, sondern eher dargestellt, was derzeitig bildungspolitscher Mainstreammurks ist. Schade. Chance verpaßt.

 

Amy Chua

Die Mutter des Erfolgs

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