Spiegel Online/Manager Magazin | 04.08.2010 | Link
Nicht geschimpft ist Lob genug"
"Plädoyer für Härte im Job"

 

Ein Sachbuchautor erläutert im Interview mit dem Manager Magazin seine Vorstellungen eines sinnvollen Arbeit­geber-Arbeitnehmer­ver­hält­nisses

Roland Springer hat ein Buch mit Empfehlungen für Arbeitgeber geschrieben. Der Autor unterbreitet in dieser Schrift konkrete Vorschläge, wie mit Mitarbeitern und Untergebenen in Firmenhierarchien umzugehen ist. Das „Manager-Magazin“ und „Spiegel Online“ bieten Herrn Springer mit diesem Interview ein Podium, um seine Ideen weiter zu erläutern und Werbung für sein Buch zu machen.

 

Strengste Disziplin: Sollte ein Chef immer nur freundlich mit den Mitarbeitern sprechen? – Disziplin und Kontrolle statt Eigen­verant­wortung und netter Worte: Nur so kann eine Firma im Wett­be­werb bestehen, glaubt Sach­buch­autor Roland Springer. Im Interview mit dem Manager-Magazin erklärt er, warum Chefs ihre Mitarbeiter streng erziehen sollten - und warum liberale Führungs­modelle gescheitert seien.    

Manager-Magazin: Herr Springer, warum muss man Erwachsene noch er­ziehen?

Springer: Weil wir uns in der Wirt­schaft auf verschärften Wett­be­werb ein­stellen müssen. Die Anforderungen werden immer komplexer, die Kon­kurrenz immer kosten­günstiger. Unternehmen brauchen effiziente und fehler­lose Prozesse, wenn sie da mithalten wollen. Und wenn an diesen Pro­zessen Men­schen beteiligt sind, dann ändert man nur mit Disziplin etwas.   
Die Mitarbeiter müssen genau definierte Standards einhalten: welches Auf­trags­formular wie auszufüllen ist, welche Information wann weitergegeben werden muss. So vermeidet man Fehler, die zu Zeitverlust und höheren Kos­ten führen.

 

Von Springer wird ein angeblich „verschärfter Wettbewerb“ als zentrales Kern­ar­gument ins Feld geführt und damit der vermeintliche Zwang zu einer be­stimmten Entwicklung legitimiert. Der globale Wett­be­werb kann an dieser Stelle durchaus als implizite Drohung verstanden werden: Wer sich nicht anpasse oder an die aus ihm erwachsenen Regeln halte, ver­liere langfristig den Arbeitsplatz.
Die Forderung, die bei der Nennung des Wettbewerbsargumentes mitschwingt, ist die, daß westliche Unternehmen und ihre Mitarbeiter in eine Art Unter­bietungs­wett­be­werb mit autoritär gelenkten und vermeintlich effektiveren Volkswirt­schaften um schlechte Arbeitsbedingungen eintreten müßten. Die Einforderung „fehlerloser Prozesse“ menschlicher Arbeit weist zudem auf ein hochgradig techno­kratisches Verständnis vom Menschen hin. Auf Grundlage dieses Grundver­ständnisses leitet Herr Springer die konkreten Forderungen ab, Arbeitnehmern müßten jegliche Er­messens­spielräume und jede Freiheit der individuellen Ent­scheidung genommen werden.

 

Manager-Magazin: Aber muss man gleich von Erziehen sprechen?    

Springer: Wenn sich die Mitarbeiter falsche Verhaltensweisen angewöhnt haben, dann muss man sie umerziehen. Das gehört zum lebenslangen Lernen dazu, ob es einem gefällt oder nicht.     

Manager-Magazin: Klingt autoritär...    

Springer: Autoritär war die Führungskultur in den sechziger Jahren. Dahin will ich nicht zurück. Früher bekam man Vorgaben und hatte danach zu arbeiten. Heute müssen die Regeln mit den Mitarbeitern zusammen ent­wickelt werden. Denn nur die haben ja im Detail das Wissen, wie die Pro­zesse funktionieren. Das liberale Führungsmodell, das in den letzten 20, 30 Jahren galt – laufen lassen und hoffen, dass der Mitarbeiter aufblüht – das funk­tioniert in der heutigen Wirt­schaftswelt nicht mehr.

 

Springer widerspricht zwar der Frage, ob es sich bei dem vom ihm vorge­schlagenen System um ein autoritäres handelt, unterstreicht dann aber durch seine Aussagen zwei Sätze später, daß seine Vorstellungen absolut autoritär sind. Die Koopera­tion und das Erstellen gemeinsamer Regeln zwischen Vorgesetzten und Unter­gebenen erscheinen hier als Vorwand, um den Vorwurf des Auto­ritarismus an der Oberfläche zu entschärfen.
Der Begriff „heutige Wirt­schafts­welt“ ist als Totschlag­argument zu werten. Mit diesem Argument wird nichts wirklich be­gründet, sondern lediglich eine wage Behauptung dahingehend aufgestellt, es herrsche heutzutage mehr Wettbewerb und daher könne man sich eine im freiheitlichen Sinne arbeit­nehmer­gerechte Arbeitswelt nicht mehr erlauben. Die Aussage, man müsse oder könne volljährige Angestellte erziehen, erscheint aus psychologisch-pädagogischer Sicht wenig überzeugend. Auch wenn eine gewisse Konditionierung kurzfristig sicherlich durch Gehaltsanreize, psychischen Druck oder andere Methoden erreicht werden kann, ist stark zu bezweifeln, daß Ver­halten und Mentalität von Mitarbeitern durch autoritäres Vor­gehen der Vorge­setzten grundlegend positiv ver­ändert werden kann. Die ex­treme Steigerung von Burnout-Erkrankungen in der BRD2 ist klares Indiz dafür, daß eben jene Erhöhung des Druckes auf Arbeitnehmer nicht zum gewün­schten Ergebnis der Effizienzsteigerung führt. Die autoritäre, zum Teil despotische Mit­arbei­ter­drang­salierung die Springer vorschlägt, würde jene Negativ­ent­wick­lung nur noch weiter verstärken.

 

Manager-Magazin: Also müssen die Mitarbeiter an die kurze Leine?    

Springer: Es geht darum, Standards zu trainieren und auf ihre Einhaltung zu achten. Jogi Löw macht die ganze Zeit nichts anderes. Damit sein Fuß­ballteam unplanbare Prozesse beherrschen kann, schaut er sich jeden einzelnen Spieler an: Spielt der die Freistöße oder die Flanke so, wie er sie spielen soll? Das akribische, fehlerfreie Arbeiten muss sitzen.    

Manager-Magazin: Und wie bringt man es den Mitarbeitern bei, die Standards einzuhalten?    

Springer: Indem man Grundsätze formuliert und beispielsweise syste­matisch auf Ordnung und Sauberkeit hinweist. Und indem man immer wieder deutlich macht, daß die Einhaltung dieser Standards der Geschäftsführung sehr wichtig ist. Leider ist es vielen Führungskräften unangenehm, hinter ihren Mitar­beitern her zu sein. Das lernen die in ihrer Ausbildung auch nicht. In den Curricula von Führungs­kräfteschulungen in Deutschland werden Sie nicht einmal das Wort „Disziplin“ finden.

 

In dieser Passage geht es um Standards im Arbeitsleben. Jedoch nicht um Stan­dards, wie sie allgemein wenig umstritten sind – etwa für die Größe von Schrauben oder ein freies und allgemein verwendetes Dateiformat für digi­tale Bilder. An dieser Stelle geht es um die Standardisierung der Art und Weise, wie der einzelne Mitarbeiter oder die einzelne Mitarbeiterin sich selber organisieren soll – ungeachtet der Persönlichkeit und der individuellen Grundkon­stitution. Was die Übernahme von Aufgaben angeht: Jeder Mitarbeiter in einem Unter­nehmen hat definierte Aufgaben und ein bestimmtes Aufgabenspektrum. Aber das ist selbst­verständlich. Wie auch im Fußballverein.3 Dafür bedarf es aber keinerlei Zusatzvorschläge zur Überregulierung, wie hier dargestellt, sondern gesunden Menschenverstand, Empathie und ein positives Unternehmensklima.

 

 

Manager-Magazin: Würden Sie behaupten, den Mitarbeitern gefalle Diszi­plin?

Springer: Wenn erst einmal die Probleme auf den Tisch kommen und dann Regeln für den Umgang damit entwickelt werden - dann sind viele regelrecht be­geistert. Denn sie haben ja zuvor immer die Probleme ausbaden müssen. Viele Mitarbeiter ärgern sich jeden Tag, wenn die Dinge nicht funktionieren.
Ich habe noch nie erlebt, dass größere Teile der Belegschaft sich gegen mehr Dis­ziplin stellen. Dass eine verschärfte Kontrolle zu Problemen führt, das kann natürlich passieren. Aber Fußballtrainer werden ja auch nicht immer nur freund­lich mit ihren Mitarbeitern sprechen. Da geht es auch mal richtig zur Sache.
Manager-Magazin: Vertrauen ist also von gestern und Kontrolle besser?    

Springer: Unter den heutigen Bedingungen: ja. Ich bin felsenfest davon über­zeugt: In den Investmentbanken weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut. Auch das ist ein Grund für die Finanzkrise. Die haben nicht nur die Produkte nicht mehr verstanden, sondern auch die Prozesse. Natürlich muss eine Führungs­kraft auch selbst Disziplin an den Tag legen und nicht nur kon­trollieren. Eine Führungs­kraft, deren Büro ein Sauladen ist, muss nicht an­fan­gen, von Ord­nung und Sauber­keit zu reden.

 

Die Behauptung, Verschärfungen der Kontrolle und Diszi­pli­nierungsmaßnahmen in Unternehmen stießen nie auf Widerstand, ist absurd. Mag sein, daß dort wo Springer arbeitet, die Mitarbeiter so viel Angst oder fehlendes Selbstbewußtsein haben, daß sich kein Widerstand formiert. Auch der Vergleich zum Fußball ist abwegig. Ein Trainer muß fair und freundlich sein. Motivation statt Druck führt zum Erfolg, nicht die hier nahegelegte „nordkoreanische Variante“ von Motivation durch Druck. Das exakte Vorschreiben jedes kleinen Arbeitsschrittes wird lediglich zu Widerstand führen, denn nach berechtigtem allgemeinem westlichen Verständnis sollte das Subsi­diaritätsprinzip auch am Arbeits­platz gelten.
Die Ideen Springers werden unweigerlich zu unmotivierten Mitar­beitern führen, die ihre Firma hassen oder sich in die unproduktive Resignation flüchten. Genau das führt aber zu höheren Kosten. Ganz zu schweigen von der Grausamkeit eines solchen Arbeitsplatzes für die Mitarbeiter. Eigenständiges Denken und Arbeiten können nur aus einer selbstbestimmten Be­schäftigung mit Inhalten erwachsen. Auch Kreativität und neue Ideen entstehen vor allem in einem Milieu von Freiheit und individueller Spielräume.

Kontrolle und totale Mitarbeiterüberwachung sind aus gutem Grund hierzulande in Unter­nehmen verboten. Diese Grund- und Menschenrechte will Springer mit seinem Buch und seinen Forderungen gezielt unter­graben. Die in diesem Inter­view offenbarten Meinungen sind derart radikal formuliert, daß sie vermutlich sogar den meisten Neoliberalen zu weit gehen dürften. In der Radikalität der Arbeit­geberinteressenvertretung und dem allgemeinen Trend zur Mitarbeiter­über­wachung dürften Neoliberale diese Ansätze aber im Grundsatz wohl be­grüßen. Selten kommt neoliberale Ideologie so unverblümt und undifferenziert zur Sprache. Ganz so als hätte es weder Aufklärung noch 68er-Bewegung oder Reform­pädagogik gegeben, werden hier reaktionäre Methoden verbal reaktiviert, deren Ver­schwin­den bisher nur den Wenigsten als Verlust aufge­fallen war. Daß ein starres Befolgen vorge­gebener Regeln positive Ergebnisse hervorbringen kann, das glaubte man vielleicht in den 1960er Jahren. Der Vorschlag, den Rück­wärtsgang einzulegen und mit Vollgas in eine inhumane Vergangenheit aufzu­brechen, dient weder Mensch noch Gesellschaft.


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