anti fussball klldscheine klFußball: Kommerzialisierung im Kopf
"Selbstregulierung der Märkte" statt Sportgeist und Menschlichkeit
Auszüge aus einem Interview von Bierhoff im Handelsblatt

 

Analyse von Auszügen eines Interviews im Handelsblatt vom 13.06.2016 mit dem Fußball-"Manager" Oliver Bierhoff.

Der Spitzensport und insbesondere der Fußball sind in den letzten Jahren stärker kommerzialisiert worden, als je zuvor. Dies kann man etwa an den milliardenschweren Auseinandersetzungen um Ausstrahlungsrechte im Fernsehen ablesen, an der Umwandlung vieler Fußballmannschaften in Aktiengesellschaften seit den 1990er-Jahren oder am "Menschenhandel" mit Spitzensportlern, die für Zigmillionen zwischen Erstligavereinen hin- und hergekauft werden.

In diesem Interview zeigt der deutsche Fußball-Funktionär Bierhoff, wie tief die neoliberale Ideologie des aktuellen Zeitgeists in den deutschen Spitzensport eingedrungen ist.

 

[Titel:]OLIVER BIERHOFF - "Wir sind ein Premiumprodukt"

Der Manager der deutschen Nationalmannschaft spricht mit Diana Fröhlich über Aufbruch und Abschied, Fußball als Chance für Europa, Hooligans und seinen Ärger über die AfD. [...]


Handelsblatt:Herr Bierhoff, Sie wollen aus der deutschen Nationalmannschaft eine Marke machen. Wofür steht die heute?

Bierhoff: Für Offenheit, Vielfalt, Toleranz. Aber auch für Leistungsbereitschaft, Siegeswillen, Erfolg. Dabei steht das Team ja schon seit jeher für etwas. "Wir sind wieder wer" nach der WM 1954 zum Beispiel, das Gefühl großer Stärke beim Titel 1990, unmittelbar vor der Wiedervereinigung. Oder eben 2014 mit einem ganz neuen Bild von deutschen Spielern, von denen einige einen Migrationshintergrund haben. Die Nationalmannschaft ist der Deutschen liebstes Kind.

 

Das Kommerzdenken fängt schon dabei an, daß Herr Bierhoff nicht Funktionär, Würdenträger oder Sportpolitiker genannt wird, sondern "Manager" - ein Wort, daß der Wirtschaft entstammt.

Die Aufzählung Bierhoffs, was die "Marke" Nationalmannschaft ausmache, liest sich wie ein BWL-Lehrbuch. "Offenheit" und "Vielfalt" werden lediglich als Konjunkturspritzen für eine steile Wirtschaftsentwicklung gesehen. Um die Menschen geht es nicht. Wenn dann noch "Leistungsbereitschaft, Siegeswillen" und "Erfolg" dazukommen, dann könnte man ebenso von einem "Exportweltmeister Deutschland", oder einer transnationalen Aktiengesellschaft anstelle einer Sportmannschaft sprechen.

 

Handlsblatt: Klingt ein bisschen nach Markenentwicklung vom Reißbrett.

Bierhoff: Eben nicht. Es kommen immer auch spontane Einflüsse hinzu. Auf dem Gipfel des Erfolgs bewiesen wir Empathie, als wir die Brasilianer 2014 nach unserem Kantersieg im WM-Halbfinale in den Arm genommen haben. Das war nicht geplant. Seit 2004 haben wir uns unser heutiges Image nach und nach aufgebaut, teils geplant, teils ganz natürlich entwickelt.

Handelsblatt: Mit einer Delle nach dem Titel: Die Niederlage gegen Irland 2015 zum Beispiel.
Ja, mit dem letzten Jahr konnten wir nicht zufrieden sein. Dennoch haben wir uns als Gruppenerster für die Europameisterschaft qualifiziert.

 

Bierhoff gibt in diesem Abschnitt mit der angeblichen Empathie der deutschen Fußballnationalmannschaft an und verwertet die angebliche Empathie als Selbstmarketing ("Brasilianer [...] in den Arm genommen"). Ganz so, als wäre es Mitleid, was die unterlegene Mannschaft aus der Dritten Welt gebrauchen könne.
Man habe sich sein "heutiges Image" der Toleranz aufgebaut, schiebt der Fußballprofi hinterher. Kein Wort natürlich vom rassistischen Ausfall im Jahr 2014 nach dem sporttechnischen Sieg über die argentinische Nationalmannschaft. Die deutsche Nationalelf gab an diesem Tag eine unerträglich Herrenmenschen-Polemik zum besten: "So gehen die Gauchos" [gebückt!], "So gehen die Deutschen" [aufrecht].
Die in diesem Interview zur Schau gestellte Toleranz ist also offensichtlich nur reines Kalkül und wird nicht aus Humanismus und Menschenfreundlichkeit heraus gelebt. Sie hat lediglich den Zweck "Wert der eigenen Marke" zu erhöhen.

Wer dermaßen an der Oberfläche verharrt und wem es nur um das Geldverdienen geht, der verdient es eigentlich nicht, Vertreter für den Sport zu sein. Einen Sport, der den Sportbetreibenden selber vor allen Dingen Freude bereiten sollte, der fair abläuft und der um des Sportes Willen stattfindet und nicht um reich und berühmt zu werden.

 

Handelsblatt: Was halten Sie den Menschen entgegen, die meinen, die Nationalspieler seien zu elitär, zu arrogant, zu abgehoben und schlicht zu reich?

Bierhoff: Das Image hat man im Profifußball schnell, gerade wenn es ums Geld geht. Das betrifft ja nicht nur uns in der Nationalmannschaft, sondern auch die Topklubs wie etwa den FC Bayern München oder Borussia Dortmund. Wir sind ein Premiumprodukt, ein Unternehmen, das für das Gesamtwohl des deutschen Fußballs auch kommerzielle Interessen verfolgt. In erster Linie haben wir ein schönes Ziel: Wir wollen Menschen glücklich machen. Und wenn uns das gelingt, dann klappt es auch mit der Vermarktung. Der Profisport ist längst ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor.

 

"Wir sind ein Premiumprodukt" ist eine Aussage, die stärker nicht vom Zeitgeist der Ökonomisierung durchsetzt sein könnte. Wie die Nationalmannschaft dem Gesamtwohl des deutschen Fußballs dienen soll, dadurch daß sie unternehmerisch handelt, bleibt unklar. Vielmehr ist es doch so, daß die Profi-Fußballerinnen des Frauenfußballs nur einen verschwindend geringen Bruchteil dessen gezahlt bekommen, was den Fußball-Männern der ersten Liga zufällt.
Auch im Sinne des Gemeinwohls ist das "Premiumprodukt" nicht: Die exorbitant teuren Fußballrechte, die unverständlicherweise Jahr für Jahr von den öffentlich-rechtlichen TV- und Hörfunksendern eingekauft werden (anstatt die Ausstrahlungsrechte einfach per Gesetzt freizugeben), können kaum als im Sinne der Beitragszahler für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gewertet werden. Am wenigsten im Sinne Derjenigen, die sich überhaupt nicht für Fußball interessieren, aber zahlen müssen.
Wenn einzelne Spieler hohe Millionenbeträge jährlich ausgezahlt bekommen, kann dies nicht als Gemeinwohl verklärt werden. Es handelt sich um Eliten, die sich mit den Geldern der normalverdienenden Bevölkerung über hohe Preise bei Eintrittskarten und exorbitante Beträge der TV-Übertragungsrechte finanzieren. Das ist ungerecht. Hohe Preise sind im Übrigen auch nicht im Sinne der Fußballfans.

Es kommt einem Bierhoff offenbar auch nicht in den Sinn, daß ein großer Teil der Bevölkerung gar nicht durch ein kollektives Nationalgefühl "glücklich" gemacht werden möchte, sondern glücklicher wäre, wenn sie nicht andauernd mit Fußballergebnissen beschallt und Deutschlandflaggen an Autospiegeln belästigt würden.
Die Menschen sollten lieber ihr individuelles Glück in selbstgewählten Tätigkeiten suchen, anstatt ihren Alltagsfrust und ihre Unbedeutsamkeit dadurch zu kompensieren, etwas anonymen wie einer Fußballmannschaft der ersten Liga zuzujubeln.
Auch wird niemand glücklich vom nationalistischen Taumel, der regelmäßig in die Unterscheidung von "wir Deutschen" und "die anderen" (Ausländer!) mündet. Wenn man im Bierhoffschen Sinne die volkswirtschaftlichen Kosten des Nationalismus und des zum Teil mit ihm einhergehenden Ausländerhasses gegen den "Glücksgewinn" durch Fußball gegenrechnen würde, wäre die ökonomische Bilanz möglicherweise gar nicht so positiv!

 

Handelsblatt: Sehen Sie sich als Produktmanager?

Ja, schon. Wenn man es so nüchtern sehen will, ist die Nationalmannschaft eine Marke, ein Produkt, das sich stetig verändert. Voraussetzung und Grundbedingung ist der sportliche Erfolg. Misserfolg bekommt man direkt zu spüren. Bei unseren letzten Heimspielen waren die Stadien nicht immer bis auf den letzten Platz gefüllt. Das heißt, dass die Menschen mit dem Produkt nicht wirklich zufrieden waren, dass es nicht gehalten hat, was es versprochen hat.
[...]

Handelsblatt: Wer will, der kann per Internet jeden Tag in der Woche irgendwo auf der Welt ein gutes Fußballspiel sehen. Was ist da wichtiger: Die Liebe der Fans zu erhalten? Oder das Erwerbsstreben?

Bierhoff: Ich glaube an die Selbstregulierung der Märkte. Noch ist der Bedarf da. Aber wir dürfen auch nicht überziehen. Ich wundere mich schon manchmal darüber, wie viel Fußball im Fernsehen gezeigt wird, aber die guten Einschaltquoten belegen das ungebrochen große Interesse. Wie ein Unternehmer auch müssen wir ständig überlegen, wie man das Produkt noch attraktiver machen kann, ohne an Authentizität zu verlieren. Um die Umsätze zu steigern.

HandelsblattMal konkret: Wie optimieren Sie als Manager Ihr Produkt?

Bierhoff: Mein Ausgangspunkt ist das Bild der Nationalmannschaft - und wie ich das nach außen vermitteln kann. Ich setze mich mit unseren Partnern zusammen, spreche mit ihnen über mögliche Werbeaktivitäten und TV-Spots, Interviews oder PR-Aktionen. Auch bei der Auswahl der Kleidung kann man viel Einfluss nehmen, wie die Mannschaft dargestellt und wahrgenommen wird. [...]

 

Die Aussage, bei "nüchterner" Betrachtung sei die Nationalmannschaft "eine Marke, ein Produkt" suggeriert, diese Sichtweise sei die einzig mögliche rationale Sichtweise. Dies ist natürlich falsch. Es handelt sich um eine bestimmte Ideologie Bierhoffs in seinem rein ökonomischen Weltbild. Einem Weltbild, in dem es keinen Platz gibt für Aktivitäten oder Menschen, die keinen Geldwert haben.
Es hat schon fast satirische Züge, mit welcher Penetranz Bierhoff auf dem Produkt-Begriff beharrt - ganz so, als wolle er jede menschliche Individualität aus der Fußballmannschaft tilgen oder unsichtbar erscheinen lassen. Alles was nicht Prestige und Geld verspricht, hat in seinem Weltbild keinen Platz.Mit der Antwort auf die Frage ob die "Liebe zu den Fans" oder Erwerbsstreben wichtiger sei, schießt Herr Bierhoff den Vogel ab, indem er seine Antwort mit dem Glauben an die "Selbstregulierung der Märkte" beginnt. Ein direkter Schlag ins Gesicht aller seiner Fans und der Fans der Nationalmannschaft, die ihm also erklärterweise rein gar nichts bedeuten. Kohle reinbringen dürfen sie immerhin.

Fazit: Oliver Bierhoff entpuppt sich in diesem Interview nicht nur als Marketing-Manager, sondern auch als waschechter Wirtschaftslobbyist, der nur ein Ziel verfolgt: Die Umsätze des Marktes "Konsum-Sport" hochtzureiben. Alles andere ist ihm offenbar egal. Was den Sport früher einmal möglicherweise ausgemacht hat wie Fairplay und Freude am Sport betreiben, spielen hier keine Rolle mehr.
Alle Werte wurden bereits über Bord geworfen, jetzt zählen nur noch Prestige und Geld.

 

 
Leseempfehlung: Buch über die Ökonomisierung unseres Alltags...

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Über die Ökonomisierung unseres Alltags


Verlag: Mandelbaum Verlag, Wien 2014.
Autor Christopher Stark
ISBN Nr. 9783854766353.



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