Analyse von kompetenznachweiskultur.de und eines WDR5 Berichts vom 5.3.2009 LEONARDO / Service Bildung / Angelika Böhrkdre-Stein
Kompetenznachweis Kultur
Wenn Kultur zu "Softskills" verkommt

 

"Was ist der Kompetenznachweis Kultur

Der Kompetenznachweis Kultur ist ein Bildungspass. Er wird an Jugendliche ab 12 Jahren vergeben, die aktiv an künstlerischen und kulturpädagogischen Angeboten teilnehmen. Er ist ein Nachweis darüber, welche individuellen personalen, sozialen, methodischen und künstlerischen Kompetenzen sie dabei gezeigt und weiterentwickelt haben.

Der Kompetenznachweis Kultur entsteht gemeinsam mit dem Jugendlichen.
Zwischen dem Anleiter/der Anleiterin, der Künstlerin, dem Kulturpädagogen und den Jugendlichen entsteht ein zeitlich begrenzter, intensiver Austausch über die individuellen Stärken, über Lernerfahrungen und Wirkungen des eigenen künstlerischen Tuns. Indem die Jugendlichen sich ihrer Fähigkeiten und Stärken bewusst werden und lernen, diese zu formulieren, stärkt der gesamte Prozess ihr Selbstbewusstsein.

Der Kompetenznachweis Kultur unterstützt Jugendliche beim Einstieg in das Berufsleben. Er erweitert ihre Möglichkeiten der Selbstdarstellung. In Bewerbungsgesprächen kann der Kompetenznachweis Kultur Impuls für ein Gespräch über besondere Fähigkeiten sein. Der Jugendliche spiegelt in diesem Gespräch das, was das Zertifikat beschreibt, glaubhaft wider, weil er selbst an der Erarbeitung beteiligt war."

 

Ein "Nachweis über künstlerische Kompetenzen"? Was soll das sein? Darf künstlerisch (=Freiheit, freie Entfaltung) und Kompetenz (=klar anwendungsorientierte Grundrichtung) überhaupt in einem Wort genannt werden?
Die Bildung bzw. künstlerische Betätigung wird hier so weit formalisiert, daß man sogar einen "Paß" dafür bekommt.

Kunst wird hier nicht im Sinne der freien Entfaltung als eigenständige Schwerpunktsetzung des Individuums gemacht, sondern in einem verwertungsorientierten Sinne, um "Stärken" des Jugendlichen herauszustellen. Die individuelle "Kompetenz" soll dann für alle TeilnehmerInnen im Einzelnen ausgehandelt werden.

Daß es gar nicht um die Kunst selbst geht, sondern um den "Einstieg in das Berufsleben", enttarnt den antikulturellen Ansatz des Ganzen. Es geht letztendlich darum, im Bewerbungsgespräch zu glänzen.

 

"Der Kompetenznachweis Kultur ist Anerkennung und individuelle Förderung. Die bisherigen Erfahrungen dokumentieren, dass die erhöhte Aufmerksamkeit für die individuellen Stärken und Kompetenzen und die beobachtende und reflektierende Auseinandersetzung darüber die Jugendlichen individuell fördert. [...]


Der Kompetenznachweis Kultur belegt die positiven Wirkungen kultureller Bildungsarbeit. Er bietet Einrichtungen und Vereinen eine gute Möglichkeit, ihre Bildungsleistungen zu präsentieren. Der Kompetenznachweis Kultur ist eine Antwort auf aktuelle bildungspolitische Herausforderungen."

 

Die Jugendlichen sollen also schon früh lernen, ihre Stärken zu analysieren. Das mag ja schön und gut sein, wenn jeder Mensch mit sich selber ausmacht. Wenn dies allerdings in einem formalisierten Verfahren stattfindet, dann liegt die Vermutung nahe, es gehe schlicht und einfach um ein frühkindliches Erlernen des Vokabulars für Bewerbungsgespräche. Außerdem wird dann ganz stark normiert, was als "gutes" und was als "schlechtes" Verhalten gilt.

Was ist denn mit den "aktuellen bildungspolitischen Herausforderungen" gemeint? Etwa der neoliberale Umbau des Bildungssystems anhand der Richtschnur strenger Arbeitsmarktorientierung? Besser sollte hier die Rede von den künstlerischen Bedürfnissen und Entfaltungswünschen der Kinder/Jugendlichen sein!

 

[Zitat aus der Radiosendung Leonardo vom 5.3.2009:]
"Ohne Erdkunde und Mathe geht’s nicht. Zu einer ganzheitlichen Bildung gehört aber auch die Auseinandersetzung mit Kunst und
Kultur. Besonders Jugendliche können davon profitieren, wenn sie sich außerhalb der Schule in Theaterprojekten, Kunst- oder Musikschulen engagieren. Sie arbeiten im Team und beschäftigen sich mit einem kulturellen Thema. Dabei entwickeln sie besondere Fähigkeiten und persönliche Stärken. Diese Schlüsselqualifikationen können zum Beispiel bei einer Bewerbung helfen. Vor allem, wenn man sie mit diesem Zertifikat belegen kann.

Der Kompetenznachweis Kultur – Kein Zeugnis Der Kompetenznachweis Kultur ist eine detaillierte Beschreibung der Schlüsselkompetenzen eines Jugendlichen auf zwei DIN A4-Seiten. Den Nachweis können Jugendliche im Alter von 12 bis 27 Jahren bekommen. Dazu müssen sie sich über einen bestimmten Zeitraum – meist zwei bis drei Monate – freiwillig in einem kulturellen Projekt engagieren. Die Teilnehmer erarbeiten während dieser Zeit den Kompetenznachweis gemeinsam mit dem Projektleiter. Brigitte Schorn, Bildungsreferentin bei der Bundesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung, sagt, dass die Jugendlichen das Angebot gerne annehmen, weil sie „sehr schnell verstehen, wofür er nützlich ist.“ Bei dem Kompetenznachweis Kultur handelt es sich um eine reine Stärkenbeschreibung, die vorher mit den Jugendlichen diskutiert wird. Die sagen „Es ist toll, dass jemand so mit uns über unsere Stärken spricht."

 

Theater, Kunst und Kultur sind wichtig. Sie sollten aber in der Schule stattfinden und nicht an "externe Dienstleister" outgesourct werden.
Kunst und Bildung sind hier nicht im humboldtschen Sinne als Selbstzweck und im Sinne einer freien Entwicklung gemeint, sondern der Erwerb 'harter' Arbeitsmarktkompetenzen, die in der Bewerbung hervorgekehrt und mit dem Zertifikat belegt werden sollen.

Und tatsächlich wird das Angebot angenommen. Aber natürlich erst dann, wenn der weltanschaulich neoliberal durchgeformte "Nachwuchs" verstanden hat, daß er davon direkt im ökonomischen Selbstverwertungssystem "profitieren" kann. Klar finden sie toll, wenn man über ihre vermeintlichen Stärken spricht. Wer hört nicht gerne, wie toll er oder sie ist?

 

"Fortbildung zum Kompetenzberater

[...] In der ersten Kursphase wird genau definiert, welche Schlüsselkompetenzen die Jugendlichen in ihrem künstlerischen Projekt erwerben können und wie der Projektleiter diese am besten feststellen kann. In der Praxisphase konzentriert er sich auf die Fähigkeiten, die bei den Teilnehmern sichtbar werden. Der Dialog mit den Jugendlichen ist hierbei besonders wichtig.
Über Stärken sprechen - Das sollen Jugendliche durch die gemeinsame Reflexion. Hierbei trainieren sie, ihre Stärken selbst zu erkennen und zu formulieren.
Auch um sich später in Bewerbungssituationen gut darstellen zu können. Brigitte Schorn ist überzeugt, dass Jugendliche lernen müssen „über sich und was sie können, positiv zu sprechen.“ Dies ist zum Beispiel ein Nebeneffekt des Kompetenznachweises Kultur."

 

Die Auswirkungen der durchgeführten künstlerischen Aktivitäten auf die TeilnehmerInnen sollen hier nicht etwas Zufälliges aus einem kreativen Prozeß Entstehendes sein, sondern etwas, was zuvor geplant ist! Die Freiheit der Kunst wird also im Vorweg bereits durch eine arbeitsplatztechnische Nutzbarmachung eingeschränkt. Kunst darf hier also nicht in freien Bahnen, sondern entlang eines Nutzenkaküls entehen.
Das angeben mit den eigenen "Kompetenzen", das darüber sprechen, wie gut man doch sei. Angeblich Nebeneffekte des "Kompetenznachweises Kultur". Letztlich geht es aber nur um das Bestehen in einer "Bewerbungssituation". Lebensfreude oder die freie Entfaltung der Persönlichkeit spielen hier nur insofern eine Rolle, wenn sie der Arbeitsplatzsuche dienen. Der Mensch mit seinen Wünschen und steht hier nicht im Mittelpunkt.

 

"Ein anderer betrifft den potenziellen Arbeitgeber: er kann sich durch das Zertifikat ein Bild von der Persönlichkeit des Bewerbers machen. [...] Brigitte Schorn und ihre Kollegen bekommen in den Fortbildungen immer wieder bestätigt, „dass die Lehrer bzw. die Kulturpädagogen, Künstler sagen: Ich sehe die Wirkung der kulturpädagogischen Arbeit noch mal ganz anders, seit ich den Kompetenznachweis Kultur anwende. Und sie melden uns zurück, sie haben eine ganz andere Beziehung zu ihren Jugendlichen aufgenommen. Weil sie gedacht haben:“Was mach ich eigentlich und wie kommt das bei den Jugendlichen an.“"

 

Das klingt alles nach schöner Harmonie und einem intimen Verhältnis zwischen Kunstpädagogen und bewerteten Kindern/Jugendliche. Anstatt aber einfach nur Kunst und Theater zu machen, wird bewertet und beobachtet.
An Stelle der Eigenmotivation und des Spaßes an der Freude, tritt ein kühl berechneter Einsatz der eigenen Fähigkeiten im Sinne der späteren Bewertung durch den Betreuer/ die Betreuerin.

Wir meinen: Der "Kompetenznachweis Kultur" kommt gut gemeint und vermeintlich kooperativ daher, aber der Schein trügt, denn andere Bewerber, die Kultur und Kunst als Hobby betreiben, weil es ihnen am Herzen liegt und ihnen Spaß macht, bekommen keinen "Nachweis" dafür, obwohl sie genau so kreativ oder möglicherweise noch viel kreativer sind. Der Ausweis ist hier ein formales Produkt, welches eine bessere Eignung suggerieren soll, auch wenn andere Bewerber in der selben Richtung aktiv waren, jedoch ohne formalen Überbau. Zudem werden die urneoliberalen Leistungsverlgeiche nun sogar auch auf die Freizeit der Jugendlichen übertragen. Das darf nicht sein! Es muß Schutzräume in den Leben der Jugendlichen vor der ökonomischen Verwertungslogik geben!

 


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