Analyse
Erwiderung auf Gabriels Pro-TTIP-Werbung
Wirtschaftsminister Gabriel wirbt in Zeitungsanzeigen für TTIP

 

Gabriel-offener-brief-sigmar-gabriel-ttip-250Zeitlich genau abgestimmt auf die Großdemonstration gegen das TTIP-Handelsabkommen am Sonnabend, 10. Oktober hat sich Bundes-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel von der SPD zu Wort gemeldet und in großflächigen Anzeigen in verschiedenen Zeitungen (z.B. TAZ und Tagessepiegel, Süddeutsche Zeitung) eine Lanze für das TTIP-Abkommen gebrochen. Das sah genau so aus wie im Bild rechts (klicken um es zu vergrößern):

Gabriel spricht die TTIP-Gegner mit vermeintlicher Objektivität, mit Pathos und anbiedernder Schmeichelei an.

Dieser Artikel ist am 16.10.2015 auch auf
Telepolis.de erschienen.


Gabriel argumentiert - wie nicht anders zu erwarten und wie man es von Berufspolitikern gewöhnt ist. Seine Argumente beziehen sich fast ausschließlich auf Zugeständnisse, die er nicht machen kann, da er bei weitem nicht der einzige ist, der über die Ausgestaltung des geheim verhandelten TTIP-Abkommens bestimmt.
Gleichzeitig versucht Gabriel Angst vor dem Scheitern des Abkommens zu erzeugen. Europa würde in diesem Falle in der globalisierten Welt seine Souveränität verlieren ("anderen folgen müssen"). Für den einen oder anderen aufmerksamen Leser mag das an Gerhard Schröder erinnern, der gemeinsam mit der Initiative Neue Soziale Marktwirschaft seinerzeit für Hartz IV trommelte und auch mit der Wettbewerbsfähigkeit, der Globalisierung und der vermeintlichen Notwendigkeit warb, den "Gürtel enger zu schnallen."


Im Folgenden Seien also Gabriels "Argumente" dargestellt und kommentiert:

Argument Gabriel
Anmerkungen Neoliberalyse

"Klar ist schon heute, dass

  • es in TTIP keine privaten Schiedsgerichte mehr geben darf, in denen Lobbyisten demokratisch gewählte Regierungen oder Parlamente unter Druck setzen können. Über Investitionsstreitigkeiten müssen ordentliche Handels­ gerichtshöfe ent­scheiden – mit Berufsrichtern, öffentlichen Verfahren und Berufungsinstanz. Hier hat unser Druck schon gewirkt: Die EU schlägt genau das für TTIP vor.

Wozu fordert Gabriel Handelsgerichte, wenn es doch auf nationalstaatlicher Ebene und auf EU-Ebene bereits Gerichte gibt, vor denen Unternehmen klagen können?

Selbst wenn die privaten Schiedsgerichte im Rahmen von TTIP vom Tisch sein sollten (was bisher auch nur EU-Position ist und noch kein Verhandlungsergebnis), bleiben die intransparenten und undemokratischen WTO-Schiedsgerichte, gegen die Gabriel komischerweise gar nichts einzuwenden hat.

Im letzten Satz versucht Gabriel, sich bei den TTIP-Gegnern einzuschmeicheln, indem er zu Unrecht behauptet, „unser Druck“ habe bereits gewirkt. Ganz so, als sei er selbst Speerspitze der Kritik, obwohl er spätestens mit dieser Werbeanzeige zu einem der wichtigsten TTIP-Befürworter geworden ist.

  • es keine Absenkung der in Deutsch­land und Europa erreichten Umwelt-, Sozial- und  Verbraucherschutzstandards geben kann. Darüber entscheiden auch in Zukunft ausschließlich demokratisch gewählte Parlamente.

Das ist so nicht richtig. TTIP sieht ja gerade eine Angleichung von Regeln in den USA und EU vor. Eine solche Angleichung bedeutet immer, daß Standards in die eine oder andere Richtung verändert werden. Wie weit dies gehen soll, können wir nicht beurteilen, weil die wesentlichen TTIP-Unterlagen und Informationen über die Verhandlungen weitgehend geheim gehalten werden. Da nur einige US-Unterhändler, die EU-Kommission und ein Paar Wirtschaftsunternehmen darüber verhandeln, brauchen wir uns keine Illusionen zu machen, daß die Standards in Sinne der Bevölkerungsmehrheit ausfallen könnten.

So heißt es auch in den ursprünglichen EU-Verhandlungsleitlinien:

„Das Abkommen wird Bestimmungen zu den handels- und investitionsbezogenen Aspek­ten von Energie und Rohstoffen enthalten. Die Verhandlungen sollten darauf ab­zielen, ein offenes, transparentes und berechenbares Geschäftsumfeld in Energie­ange­legenheiten und einen unbeschränkten und nachhaltigen Zugang zu Rohstoffen sicher­zustellen.“


Das klingt verdächtig nach einem Freifahrtschein für Fracking, Kohle- und Ölförderung sowie für Agrarkonzerne und unökologische Biokraftstoffe.

  • TTIP keinen direkten oder indirekten Zwang zur Privatisierung und Libera­lisierung öffentlicher Dienstleistungen beinhalten darf, z. B. im Gesundheits­wesen, bei der Wasserversorgung oder sozialen Dienstleistungen.
Die Möglichkeit weitgehender Privatisierungen ist doch von vornherein ein wesentliches Ziel von TTIP. So hat die EU-Verhandlungskommission in ihren ursprünglichen, geheimen Leitlinien für die TTIP-Verhandlungen definiert1:

„Das Abkommen sollte auf die Aufnahme von Bestimmungen zur Wettbewerbspolitik abzielen, einschließlich Bestimmungen über Kartelle, Zusammenschlüsse und staatliche Beihilfen. Des Weiteren sollte sich das Abkommen mit staatlichen Monopolen, staatlichen Unter­nehmen und Unternehmen mit besonderen oder ausschließlichen Rechten be­fassen.“

An anderer Stelle heißt es in diesem Grundsatzpapier noch deutlicher:

„Dienstleistungshandel […] höchsten Liberalisierungsniveau [...] wobei im Wesentlichen alle Sektoren und Erbringungsarten erfasst werden, und dabei gleichzeitig neue Marktzu­gangsmöglichkeiten zu erzielen, indem noch vorhandene, seit langem bestehende Hemmnisse für den Marktzugang angegangen werden“.

Es sollen also bisher unerschlossene Märkte geöffnet werden. Zu solchen Märkten gehören vor allem die staatlich-monopolistische Wasserversorgung, das staatliche, nicht profitorientierte Bildungssystem und andere Teile staatlicher Infrastruktur.

  • die in unserem Land und in Europa bestehenden Kulturförderungen nicht eingeschränkt werden – von der  Buchpreisbindung bis zur Förderung von Theatern und Museen.

Mag sein, daß Herr Gabriel die europäische Kultur, EU-Filmförderung usw. am Herzen liegen. Es bleibt nur die Frage, ob er letztenendes darüber bestimmen kann und wird, oder ob dieses Thema vielleicht nicht doch am Ende als fauler Kompromiß runterfällt. Es wäre nicht das erste Mal, daß es am Ende die Kultur ist, die als verzichtbare Verhandlungsmasse draufgeht.

  • am Ende alle nationalen Parlamente und das Europäische Parlament das letzte Wort haben.

Die Parlamentarier werden im Rahmen des Fraktionszwanges über etwas abstimmen, daß in Geheimverhandlungen abgestimmt worden ist und über was sie nur einige Rahmendaten erfahren haben.

Im Lichte vieler Lobbyisten im EU-Parlament, tausender Lobbyisten in Brüssel und Straßburg; aber auch der weitgehenden Intransparenz ist das keine beruhigende Perspektive.

  • TTIP ist weder „gut“ noch „böse“. Sondern es kommt darauf an, was wir daraus ma­chen. Denn die Welt ändert sich rasant. Asien, Lateinamerika und auch Afrika ge­winnen zu Recht an Bedeutung, denn dort wächst die Bevölkerung, wogegen sie in Europa schrumpft.

„Was wir daraus machen“. Und eben das ist der Punkt, weil „WIR“ haben keinerlei direkten Einfluß auf das Abkommen und dürfen auch nicht entscheiden, ob das Abkommen überhaupt verhandelt wird oder nicht!

Das alte Argument der Demographie ist schon stumpf geworden, aber Gabriel scheut sich nicht, es noch einmal zu hervor zu holen: Wie wir an Europa, den USA und Japan sehen können, hängt ökonomische Dominanz nicht mit der (stagnierenden) Bevölkerungsentwicklung zusammen. Außerdem hat Europa mit Immigration ungeachtet davon die Perspektive eines langfristigen Bevölkerungswachstums.

Europa und die USA sind nicht Opfer der globalen Weltwirtschaft, sondern es sind ganz überwiegend Großunternehmen aus diesem westlichen Wirtschaftsblock, die die Welt dominieren und an schlechten Arbeitsbedingungen in so vielen Schwellen- und Entwicklungsländern Schuld sind. Was die Welt nicht braucht, sind noch dominantere (vornehmlich westliche) Großunternehmen, sondern ist ein starkes Afrika und ein starkes Lateinamerika. Ein wirklich faires Handelsabkommen ist eines, das diese Wirtschaftsräume auf Augenhöhe einbezieht.

  • Die Frage wird sein: Wer schafft die Regeln für die Globalisierung? Und wie fair und nachhaltig werden sie sein? Europa hat die Chance, diese Regeln selbst mitzugestal­ten. Gelingt dies mit den beiden größten Handelsregionen der Welt – Europa undden USA –, dann werden uns andere folgen. Scheitern wir, dann werden wir anderen folgen müssen. Denn weltweit werden momentan zahlreiche Freihandelsabkom­ men verhandelt. Mit schlechteren Regeln, als wir sie selbst jetzt gestalten können.

TTIP hat rein gar nichts mit fairem Handel zu tun! Das war von vornherein nicht das Ziel des Abkommens und das wird es auch nicht werden. Es geht vielmehr erklärtermaßen um die geopolitische Vorherrschaft der USA und Europas.

Fairer Handel würde ja bedeuten, daß das eben genannte Afrika oder Südamerika ein größeres Stück des Kuchens, also dem globalen Welthandel abbekäme (bzw. durch faire „terms of trade“ höhere Preise für Rohstoffe).

Und eben das würde bis in weite Zukunft verhindert werden, wenn eine nordatlantische Wirtschaftsallianz geschmiedet wird!

Gabriels Aussage, daß Europa anderen folgen müsse, wenn TTIP scheitere, ist blanker Unsinn. Europa ist politisch souverän, verfügt zudem über einen riesigen Binnenmarkt sowie über eigene Institutionen, Gerichte und Parlamente – verfügt über eine leistungsfähige Wissenschaft und eine fitte Zivilgesellschaft. Europa wird selbstverständlich auch eigenständig stark bleiben, wenn die Akteure es nur wollen und ihr Heil nicht in Mantren von Wachstum und ungehemmtem Freihandel suchen.

Deshalb:
Bangemachen gilt nicht! Europa muss selbstbewusst und mutig seine Ideen von Frei­heit im Handel und Verantwortung für die Menschen voranbringen. Wir haben die Chance, weltweit einen neuen und guten Standard für den wachsenden globalen Handel zu setzen. Mit ambitionierten Umwelt- und Verbraucherstandards und mit fairen Bedingungen für Investitionen und Arbeitnehmer. Das muss unser Ziel sein."

Es ist absurd, Untergangs-Szenarien mit dem Scheitern eines Handelsabkommens zu an die Wand zu malen. Genau das ist „Bangemachen“. Eben genau das, was Gabriel bei seinen Gegnern kritisiert. Eine ungemein dreiste und durchsichtige Strategie.

Die „neuen und guten Standards“ für einen „wachsenden globalen Handel“ haben nichts damit zu tun, was TTIP-Kritiker und die Bevölkerungsmehrheit wollen.

Gute Standards wären welche, die dafür sorgen, daß Reichtum global gleich verteilt wird. Standards, die transnationale Großunternehmen daran hindern, Profit auf Kosten der Umwelt und der Allgemeinheit zu machen. Mit TTIP soll aber die ökonomische Hegemonie des Westens und dieser Unternehmen (aus dem Bereich Gentechnik, Pharma, Erdöl, Atomkraft, Massentierhaltung, Chemie usw.) zementiert werden. Für „ambitionierte Umwelt- und Verbraucherstandards“ bedarf es keines Handelsabkommens. Und schon gar nicht mit den USA.

1 Quelle: Geleaktes Dokument mit dem Namen: "Leitlinien für die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Inves­titionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten" Staaten von Amerika (WTO 139 / SERVICES / FDI 17 / USA 18) vom 17. Juni 2013.

 


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Gast - Neoliberalyse.de

Hallo Peter,
hier ist nun ein Artikel von uns erschienen von Gesellschaftsbereichen, die nach unserer Ansicht nicht ökonomisiert werden dürfen:
10 Gesellschaftsbereiche, die keinen ökonomischen Prinzipien unterworfen werden dürfen

  • Gast - Peter

    Hallo, ich bin über Heise auf diesen Blog gekommen. Muss sagen das ich ihn nicht schlecht finde. Einige "Sachen" fand ich sogar lustig.
    Zu dem Artikel will ich nichts sagen, ich bin 67 Jahre und habe die Sozialdemokratie mein Leben lang erlitten, da wiederholt sich alles. das ist übrigens ein Punkt weshalb ich den Artikel schätze, er arbeitet sehr präzise die Argumente auf. Da kann man heute keinen Blumentopf mit gewinnen, dennoch muss es gemacht werden.
    Falsch, Grundfalsch halte ich "eure" Aussage "gegen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche", wenn der Mensch leben will, als teil der Natur, dann sind alle Lebensbereich ökonomisiert. Das ist soweit auch nicht "schlimm" es wird nur "Schlimm" wenn die ökonomisierung dazu genutzt wird um nicht Arbeitende Reich zu machen und das Ergebnis der ökonomisierung zur verelendung vieler führt. Es wäre schön wenn ein Bereich genannt würde der nicht ökonomisiert sein sollte.
    Viele Grüße Peter

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