Sachsen: Aggressives Standortmarketing
Wie Sachsen versucht, Berlin die jungen Menschen abzuluchsen
Wir finden, wer Karriere macht, sollte sich einen Sportwagen leisten können.
.. so geht Sächsisch.
SACHSEN
Die Vermarktung geographischer Räume wie von Städten und Bundesländern hat seit den 1980er Jahren Konjunktur. Jeder Provinzbürgermeister und jede Landesregierung versucht sich im Regionalmarketing und der Imageförderung für den sogenannten Standort. In einem Hauen und Stechen tritt man so gegeneinander an, um in Zeiten des negativen demographischen Wandels die lukrative Mittelschicht, die lohnsteuerzahlenden Menschen im besten Alter dazu zu bewegen, ihren Wohnsitz in das eigene Gebiet zu verlagern. Sachsen ist hierbei wenig verwunderlich keine Ausnahme.
In diesem Fall hängt ein riesiges Plakat in Berlin-Mitte an einem Baustellengerüst. Der Spruch "Wir finden, wer Karriere macht, sollte sich einen Sportwagen leisten können" in Kombination mit dem Bild einer Frau, die offenbar einen Kinderwagen schiebt, ist zunächst sehr kryptisch und für die meisten Menschen vermutlich schlecht verständlich.
Was das Plakat aussagen soll, ist wohl, daß man:
1. In Sachsen Karriere machen kann, vermutlich weil man die eigene Wirtschaft für leistungsfähig hält
2. Man in Sachsen Kinder und Beruf gut unter einen Hut bringen kann.
3. Man in Sachsen so viel verdient, daß man sich einen Sportwagen leisten kann.
Der dritte Punkt ist als recht weitreichende Interpretation des Slogans zu verstehen. Der Hinweis wirkt wie ein Augenzwinkern von Materialist zu Materialist. Denn wer abgesehen von Materialisten und statusorientierten Menschen findet denn Sportwagen überhaupt attraktiv oder sinnvoll?
Die sächsische Landesregierung vermarktet sich in diesem Beispiel auf eine Art und Weise, die viel über Mentalität und politische Ausrichtung verrät. Man möchte karriereorientierte Menschen ansprechen (siehe die Kleidung der abgebildeten Frau sowie der Verweis auf den Sportwagen) und damit neue Steuerzahler gewinnen.
Nun mag man fragen, was daran denn problematisch ist. Das Problem besteht darin, daß Sachsen nicht auf Kooperation, sondern auf Konkurrenz zwischen den Bundesländern setzt. Anstatt für mehr ausländische Immigration zu werben um so den unaufhaltsamen demographischen Wandel auszuhebeln, versucht man, den anderen Bundesländern die wenigen jungen Menschen abzuringen.
Keine Region bis auf möglicherweise zwei, drei Bundesländer wird auf dauer Gewinner eines solchen Wettbewerbs um Steuerzahler sein. Dies scheint der Politikerkaste jedoch überhaupt nicht klar zu sein. Anstatt über tatsächliche Problemlösungen nachzudenken, zählen offenbar nur Eigeninteressen. Als i-Tüpfelchen verpackt man dies auch noch als witzig gemeinte Anzeige, die man in der "Konkurrenzstadt" in prominenter Größe aufhängt.
Teil der Sachsen-Kampagne ist auch das folgende Werbeplakat bzw. die folgende Zeitschriftenanzeige, die einen anderen Fokus setzt:
Wir machen Weltstars. Ohne Castingshows.
SACHSEN -
WIR SACHSEN LIEBEN DIE KÜNSTE UND DIE KULTUR: Der Leipziger Thomanerchor und der Dresdner Kreuzchor - gleich zwei der berühmtesten Knabenchöre der Welt sind in Sachsen zu Hause. Auf der sächsischen Notenspur reihen sich Musikgenies wie Bach, Mendelssohn, Schumann und Wagner aneinander. Klangkörper wie das Leipziger Gewandhausorchester und die Sächsische Staatskapelle begeistern Musikliebhaber auf der ganzen Welt und in der Heimat. Die Weihnachtszeit ist für uns auch musikalisch einer der Höhepunkte des Jahres.
www.so-geht-sächsisch.de
Beim genaueren Hinsehen fallen aber ein Paar Details auf, die zumindest diskussionswürdig sind:
1. Es geht klar um Prestige. Mit dem Wort "Weltstars" die in Sachsen "gemacht" würden, möchte man den globalen Wettbewerb unterstreichen, in dem man wohl glaubt, sich zu befinden. Sonst würde man schließlich keine Werbung für den Standort betreiben.
Der (durchaus gerechtfertigte) Seitenhieb auf niveauarme TV-Formate erfolgt in dem Sinne aber wohl kaum aus einer sozial-pädagogischen Motivation heraus, sondern vermutlich ausgehend von einer elitären Selbstwahrnehmung.
2. Bei den genannten Chören handelt es sich nicht um gewöhnliche Chöre, sondern um "elitäre", also um zwei Chöre, in die nur die "Besten der Besten" aufgenommen werden. Man unterstreicht also den Schwerpunkt auf Elitenförderung bei Kindern. Ein ganz typisches Moment bei neoliberalen Vordenkern und Lobbyisten.
3. Man möchte sein insgesamt konservatives Weltbild zur Schau stellen, in dem vor allen Dingen Platz ist für die "guten alten" Schätze der Kulturentwicklung (wogegen ja nun nichts einzuwenden wäre, wenn man ebensoviel Energie und Mittel für die kulturelle Bildung weniger privilegierter Bevölkerungsschichten aufwenden würde).
4. Der dargestellte Thomanerchor setzt sich aus Kindern zusammen, die im Internat leben. Dies ist grundsätzlich ein pädagogisch höchst fragwürdiges Konzept.
Neben dem menschenverachtenden Abschieben der eigenen Kinder in eine anonyme Institution sind auch der dort herrschende reaktionäre Zwang und die extremen Hierarchien des Thomaner-Internats zu kritisieren. Außerdem sind die Kinder dieses Chors extremem Leistungsdruck ausgesetzt, haben kaum individuelle Freiheiten und Rückzugsmöglichkeiten (siehe auch : Zeit.de und Spiegel.de).
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